Das Phänomen der Orden und religiösen Gemeinschaften mitsamt ihrer komplexen Entwicklung und Verankerung von Leitlinien, Regeln und formae des Zusammenlebens prägt das Christentum von Anfang an. Den Gründungspersönlichkeiten, sofern sie bekannt oder gar prominent sind, wird nicht selten charismatische Ausstrahlung und mutiger Tatendrang zugeschrieben. Zumeist sind sie die zentralen Akteurinnen und Akteure, die unsere Kenntnis der Anfänge des religiösen Gemeinschaftslebens quer durch die Epochen der Kirchengeschichte bestimmen.
Der Fokus dieses Buches liegt hingegen auf den zweiten (und dritten) Generationen von Orden und religiösen Gemeinschaften. Denn häufiger als angenommen liegen die Anfänge religiösen Gemeinschaftslebens im Dunkeln oder werden erst (zum Teil erheblich) später im Sinne einer Erzählung der Anfänge konstruiert. Von großem Interesse sind die Übergänge von Fluidität und Experiment hin zu Dauer und Stabilität einer Gemeinschaft; vom jeweils im Einzelfall genauer zu definierenden Charisma hin zur Institution; vom Versuchscharakter hin zu einer rechtlich-stabilen Ordnung. Solche Übergänge waren – und sind – beinahe immer von Krisen, Konflikten und Narrativen geprägt, die die Ursprünge der Gemeinschaft im Licht der jeweils gegenwärtigen Spannungen lesen und tradieren oder Anpassungsprozesse durchlaufen, deren handelnde
Personen häufig zu Unrecht im Hintergrund stehen. Dieser bisher wenig untersuchten Phase der Krise und des „Gärens“ religiösen Gemeinschaftslebens widmen sich die Autorinnen und Autoren dieses Buches.
Prof. DDr. Marco G. Rainini, geb. 1967, Dipartimento di Scienze Religiose, Università Cattolica del Sacro Cuore, Milano, Italia
Prof. Dr. Andrea Riedl, geb. 1984, Lehrstuhl für Mittlere und Neue Kirchengeschichte, Fakultät für Katholische Theologie, Universität Regensburg, Deutschland