Neben den zahlreichen bekannten Italienreisen der klassischen Zeit um 1800, etwa Goethe, Moritz und Seume, lag die Provence als Reiseziel bisher deutlich weniger im Fokus der Forschung. Und doch war sie weit mehr als nur eine Etappe auf dem Weg nach Italien. In der vorliegenden Studie werden die deutschsprachigen und französischen Reiseberichte in die Provence der Epoche zwischen 1770 und 1830 vorgestellt und untersucht. Behandelt werden die Voraussetzungen und Bedingungen des Reisens, die gewählten Ziele, die Antikenbegeisterung, die ästhetische Wahrnehmung der Landschaft sowie die politischen und konfessionellen Vorbehalte bei der Begegnung mit der provenzalischen Bevölkerung. Im Vergleich zwischen den Reiseberichten von Männern und Frauen einerseits sowie zwischen französischen und deutschen Werken andererseits werden Differenzen deutlich. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der "Malerischen Fußreise in die mittäglichen Provinzen Frankreichs" (1818) von Christian Friedrich Mylius, der mit dem begleitenden Atlasband mit Lithographien nach Vorlagen des Basler Malers Johann Rudolf Huber von größtem Interesse ist. Die Studie "Die vielen Paradiese der Provence" gibt ein weitgefächertes mentalitätsgeschichtliches Spektrum an historischen Wahrnehmungen und Deutungen einer Landschaft, die durch die Altertümer der Römerzeit ebenso geprägt war wie durch ihre volkstümliche Katholizität und die politischen Erfahrungen des Empires.
Inhaltsverzeichnis
Dank • 5
Inhaltsverzeichnis • 6
1. Einleitung • 15
1.1. Theoretischer Ansatz • 16
1.2. Auswahl der Berichte • 18
1.3. Konzeption der Arbeit • 19
1.4. Reisende oder Touristen? • 21
1.5. Der Zeitraum • 23
1.6. Theorie des Begriffs „Raum“ • 23
1.7. „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ • 25
1.8. Heterotopien • 28
1.9. Der geographische Raum: Provence, Midi, Süd- oder Südostfrankreich? • 30
1.10. Die Wahl des Reiseweges • 33
1.11. Resümee • 35
2. Stand der Forschung • 39
2.1. Stand der Forschung zur Geschichte der Provence • 40
2.2. Stand der Forschung zu Reiseliteratur allgemein in Deutschland und
Frankreich • 43
2.3. Stand der Forschung zu Reisen in die Provence • 46
2.4. Resümee • 50
3. Charakterisierung der Reisenden • 52
3.1. Geographische und religiöse Herkunft: Tabelle der Reisenden • 52
3.2. Soziale und berufliche Herkunft • 53
3.3. Männer und Frauen auf Reisen – ein Vergleich • 54
3.4. Alter • 55
3.5. Finanzen • 55
3.6. Resümee • 58
4. Der literarische „Erwartungshorizont“ der Reisenden • 60
4.1. Die Vielzahl spezialisierter Reiseberichte • 60
4.2. Die Reisesammlungen um 1800 • 63
4.3. Arthur Youngs Reise • 68
4.4. Laurence Sternes maßgeblicher Einfluss: Das Leben und
Ansichten Tristram Shandys und Yoricks empfindsame Reise • 72
4.5. Claude-Emmanuel Luillier, genannt Chapelle und
Francois Lecoigneux de Bachaumont • 78
4.6. Jean-Jacques Lefranc de Pompignan • 80
4.7. Der Abt Jean-Pierre Papon • 81
4.8. Laurent-Pierre Berenger • 83
4.9. Aubin-Louis Millin • 83
4.10. Moritz August von Thummel • 84
4.11. Die Rezeption der Troubadour-Dichtung • 86
4.12. Die Reisehandbücher • 89
4.13. Die Übersetzungen • 92
4.14. Resümee • 95
5. Eine erneuerte Reisepraxis • 96
5.1. Landeskarten, Postwege und Zustand der Straßen: die Spannung zwischen
Norden und Süden in Wandel und Kontinuität • 96
5.2. Die Wahl der Verkehrsmittel • 102
5.3. Fischers Reiseweg: Eine bürgerliche und medizinische Reise • 106
5.4. Die Reisegeschwindigkeit • 109
5.5. Die Räubergefahr • 110
5.6. Zoll, Pässe und administrative Schwierigkeiten • 116
5.7. Gasthöfe und Posthäuser • 119
5.8. Die Bedingungen des Schreibens unterwegs • 123
5.9. Resümee • 125
6. Marseille als Zentrum der Provence • 128
6.1. Die Ankunft, besichtigte Orte und Sehenswürdigkeiten in Marseille • 129
6.2. Kurze Darstellung des methodischen und kartographischen Vorgehens • 131
6.3. Beschreibung der Karte: Physiognomie der Stadt Marseille • 134
6.4. Der historische Raum der Stadt • 134
6.5. Die Exkursionen • 135
6.6. Das konfessionelle Marseille der Reisenden • 138
6.7. Der wirtschaftliche Raum: Hafen und Handel • 140
6.7.1. Der Zusammenbruch des Handels nach der Revolution • 141
6.7.2. Der Handel in Marseille • 142
6.8. Der politische und gesellschaftliche Raum • 143
6.8.1. Das Gegeneinandersetzen von Altstadt und Neustadt • 145
6.8.2. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Reisenden in Marseille • 147
6.8.3. Das Theater • 149
6.8.4. Ein besonderes Merkmal: die Kurtisanen und die Moral • 151
6.8.5. Resümee • 152
7. Kleinere provenzalische Städte als Reiseetappen • 154
7.1. Eine Stadt im Schatten Marseilles: Aix • 155
7.2. Städte der Antike: Orange, Arles, Nimes, Frejus • 156
7.3. Städte der Gewalt: Avignon und Toulon • 159
7.4. „Im Elysium“: Hyeres und Nizza • 162
7.5. Resümee • 167
8. „Reise in das Land des Leichtsinns“: Wahrnehmung der Provence um 1800 • 168
8.1. Zeitgenössische theoretische Ansätze • 168
8.2. Stereotypen über Südfrankreich • 176
8.2.1. Vom Vorwurf der Faulheit, der Unreinlichkeit und der Frivolität • 178
8.2.2. Das Ideal des Malerischen und ihre Grenzen • 182
8.2.3. Differenzierung in der Wahrnehmung deutscher und französischer
Reisenden • 185
8.3. Protestantische Wahrnehmung der katholischen Bevölkerung • 188
8.3.1. Vergleich mit anderen katholischen Ländern, Süddeutschland,
Österreich, der Schweiz und Spanien • 188
8.3.2. Französischer Protestantismus und südliche Mentalität • 196
8.3.3. Ein Sonderfall: die Volksfrömmigkeit in Italien • 202
8.3.4. Volksfrömmigkeit in Südfrankreich • 206
8.3.5. Ästhetisierung der Blicke • 219
8.4. Politische Wahrnehmung • 222
8.4.1. „Revolutionärer Vandalismus“ • 222
8.4.2. Die Wahrnehmung der „niederen Stände“ • 223
8.4.3. Eine politisch-interessierte Reisende: Friederike Brun • 227
8.4.4. Politische Differenzierung in deutschen und französischen
Reiseberichten zwischen 1780 und 1840 • 233
8.5. Resümee • 236
9. Besonderheiten in der weiblichen Wahrnehmung • 239
9.1. Lage der Forschung über Reiseliteratur von Frauen • 239
9.2. Vorstellung der weiblichen Reisenden • 244
9.3. Die Verleger der Reiseberichte von Frauen
und die Praxis der Publikationen • 246
9.4. Der Rechtfertigungsdiskurs der reisenden Frauen • 250
9.5. Die Reisebedingungen der Frauen: Planung und Verlauf der Reise • 252
9.5.1. Die obligatorischen Reisegefährten • 255
9.5.2. Die materiellen Umstände der Reise • 258
9.6. Die Themen der weiblichen Reisenden und die Frage nach einem
„weiblichen Blick“ • 261
9.6.1. Über die Südfranzosen und ihr Klima • 261
9.6.2. Über die weibliche Bevölkerung der bereisten Regionen • 269
9.6.3. Über die Armen • 274
9.6.4. Gefahren, strapaziöse Reisewege und körperliche Erfahrungen • 280
9.6.5. Freiheiten des Erzählens • 286
9.7. Resümee • 292
10. Die gemeinsame Reise Johannas und Arthurs Schopenhauer • 294
10.1. Eine Bildungs- und Familienreise • 294
10.2. Zwei Berichte einer Reise • 296
10.3. Der Reiseweg • 296
10.4. Gemeinsamkeit und Nuancen in der Wahrnehmung Südfrankreichs ....... 297
10.5. Johanna Schopenhauers literarische Stilisierung ihrer Reiseerlebnisse ...... 303
10.6. Resümee • 308
11. Fallstudie einer intermedialen Reise: Die Malerische Fußreise von Christian
Friedrich Mylius • 309
11.1. Biographie des Reisenden Christian Friedrich Mylius (1762–1841) • 309
11.2. Die Edition des Reiseberichts • 313
11.2.1. Die Planung einer illustrierten Edition • 313
11.2.2. Ein programmatischer Auszug: Die Saonefahrt • 315
11.2.3. Weitere Planungen zu Reisen und Reiseberichten • 317
11.2.4. Der Verkaufspreis • 318
11.2.5. Die Probleme eines Druckes im Selbstverlag • 319
11.2.6. Die Rezeption • 321
11.3. Die Wahl des Reiseweges • 324
11.3.1. Versäumnisse • 328
11.3.2. Auslassungen • 328
11.3.3. Verbote • 330
11.4. Zwischen enzyklopädischem Anspruch und malerischer Ästhetik • 330
11.4.1. Der Wandel: die verstärkte Wahrnehmung der Berge • 330
11.4.2. Die Kontinuität: der Anspruch auf Vollständigkeit • 331
11.5. Textuelle und kontextuelle Analyse der Malerischen Fußreise • 332
11.5.1. Quellen und Referenzen der Malerischen Fußreise: die Vielfalt der
Quellen • 332
11.5.2. Ein prägender Vorgänger: Aubin-Louis Millin • 335
11.5.3. Aufbau und Stil der Malerischen Fußreise • 338
11.5.4. Analyse der Typographie und des Aufbaus des Textes am Beispiel
Antibes • 339
11.5.5. Das Verständnis des Begriffs „malerisch“
in der Malerischen Fußreise • 341
11.5.6. Mylius‘ ästhetische Vorliebe • 345
11.5.7. Die Titelblätter der Malerischen Fußreise • 350
11.5.8. Eine abgestimmte Kombination von Text und Bild • 351
11.5.9. Die Grenzen der bildlichen Darstellung • 354
11.6. Der Unterschied zwischen einer akademischen Reise und der Reise eines
Amateurs: ein Vergleich von Christian August Fischer und Christian Friedrich
Mylius • 357
11.6.1. Die Städtebeschreibungen • 357
11.6.2. Der Reiseweg • 359
11.7. Die Fußreise und die Spur physischen Erlebens im
Reisebericht von Christian Friedrich Mylius • 361
11.7.1. Die körperliche Erfahrung des Raums: Bedeutung
der Witterung und des Straßenzustands • 363
11.7.2. Die Ängste der Reisenden • 367
11.7.3. Ollioules als Beispiel für einen gefürchteten Ort • 370
11.7.4. Die Pyrenäen: Erfahrung der Wege und der Wetterverhältnisse • 372
11.8. Die Landschaftserfahrung als Ergebnis einer gezielten Suche • 375
11.8.1. Literarische Vorlagen der Pyrenäenreise des Pfarrers Mylius • 379
11.8.2. Die Entdeckung des Meeres • 382
11.9. Höhepunkte und Enttäuschungen auf der Reise • 385
11.10. Resümee • 390
12. Die „Schule des Blicks“: der Atlasband des Malers
Johann Rudolf Huber (1770–1844) • 393
12.1. Die Bedeutung des Atlasbandes als historische Quelle • 394
12.1.1. Stand der Forschung • 394
12.1.2. Biographische Skizze zu Johann Rudolf Huber • 396
12.1.3. Werk und Rezeption • 397
12.2. Der konstruierte Blick des Atlasbandes der
Malerischen Fußreise: formale Analyse • 409
12.2.1. Die neue Technick der Lithographie • 409
12.2.2. Präsentation der Lithographien • 411
12.2.3. Qualitätsunterschiede der Steindrucke • 416
12.2.4. Die Tafeln als heterogenes Ensemble • 418
12.3. Thematische Analyse der Lithographien • 424
12.3.1. Die antiken Denkmäler • 424
12.3.2. Die technischen Bauwerke • 429
12.3.3. Die Ansichten einer von Menschen bevölkerten Natur • 431
12.3.4. Die Städteansichten • 432
12.3.5. Die Faszination des Panoramas • 436
12.3.6. Die normative Funktion des Standpunktes • 437
12.4. Besonderheiten der Darstellungen in den Lithographien • 440
12.4.1. Die Bildung eines Landschaftskanons am Beispiel von Fontaine-de-
Vaucluse • 440
12.4.2. Der Hohepunkt des normativen Blickes: die Promenade • 445
12.4.3. Die veränderte Wahrnehmung der Berge • 448
12.4.4. Die Stellung der Menschen in den Lithographien: bevölkerte
Landschaften • 451
12.4.5. Der Blick auf die Menschen und ihre lokalen Bräuche • 456
12.4.6. Die Bedeutung der Ästhetik • 461
12.5. Resümee • 463
13. Gesamtresümee • 466
13.1. Bildung und Reisepraxis der Reisenden • 466
13.2. Das Selbstverständnis der neuen Eliten: von der Revolutionskritik zum
Misstrauen gegenüber den „niederen Standen“ • 468
13.3. ,Protestantische‘ Wahrnehmungs- und Deutungsmuster • 470
13.4. Auf der Suche nach einem ,weiblichen‘ Blick • 471
13.5. Der Reisebericht des Pfarrers Christian Friedrich Mylius: Übergang
zwischen enzyklopädischem Anspruch und der Darstellung malerischen
Empfindens • 473
13.6. Der Atlasband der Malerischen Fußreise: ein bürgerliches Bild von Natur,
Kultur und Gesellschaft • 475
Abbildungsverzeichnis • 479
Bibliographie • 485
Quellen • 485
Sekundärliteratur • 514